Zum Tod von Herbert Schneider: Maßgeschneiderte bayerische Literatur

In der Münchner Vorstadt Schwanthalerhöh erblickte Herbert Schneider am 8. Oktober 1922 das Licht der Welt. Auf die Volksschulzeit folgte der Besuch der Realschule und der Oberschule mit Notabitur. Dann musste auch er zum Kriegsdienst einrücken. Seinen Berufswunsch nach 1945, Radrennfahrer zu werden, konnte er nicht realisieren. Stattdessen machte er in Garmisch-Partenkirchen seine ersten Erfahrungen bei der Zeitung und wurde Journalist und Schriftsteller. Seit 1950 arbeitete er als Redakteur und Kolumnist beim „Münchner Merkur“, wo er regelmäßig „Das Mittwochfeuilleton“ und später die Kolumne „Maßgeschneidert“ verfasste. Bei der „tz“ meldete er sich bald als „Der Schwager“ regelmäßig zu Wort. Im Alter von 36 Jahren wurde er 1959 zum jüngsten Mitbegründer der Autorengruppe der Turmschreiber, als Autor war er jedoch schon einer der bekanntesten. Er hatte nämlich kurz nach dem Krieg mit seinen Gedichten der bayerischen Mundart zu neuem Ansehen verholfen. Sie fand jetzt nicht mehr nur auf dem Land Anerkennung, sondern neuerdings auch in der Großstadt.

Herbert Schneider mit seinem Rennrad

Im Lauf der Jahre schrieb Schneider an die 5000 Kolumnen, Geschichten, Glossen, Kommentare, Gedichte, Aphorismen und veröffentlichte zunächst als einer der ersten Mundartautoren nach dem Krieg 1956 den Gedichtband „D‘ Münchner Rass“, in dem er Milieu, Kolorit und Seele der Münchner mit Gemüt, Witz und leiser Ironie zu schildern verstand. „Herbert Schneider“, urteilte Ludwig Zehetner in dem Band „Das Bairische Dialektbuch“, „ist es gelungen, durch Aneignung unregelmäßiger Versformen und Verarbeitung zeitnaher Themen die Gegenwart zu verdichten, und zwar ohne radikalen Bruch mit der Tradition der Dialekt-Poesie.“ Friedl Brehm, der verdiente Förderer der Dialekt-Literatur, schrieb: „Eine Brücke für die Dichtung in der bayerischen Sprache schufen nach dem Zweiten Weltkrieg zweifellos auch die Münchner Zeitungen mit den Kolumnen von Sigi Sommer und den Gedichten von Herbert Schneider…“ „Er fabriziert keine Gelegenheits-Poesie für muntere Lesestunden“, notierte Ludwig Hollweck, ehemaliger Leiter der Monacensia-Abteilung der Münchner Stadtbibliothek und ein exzellenter Kenner Münchens und seiner Literatur. „Herbert Schneider wärmt keine alten Simpl-Witze in neuer Form auf, er schwärmt nicht von der guten alten Zeit. Er ist ein Mensch voller Humor, der aber auch einmal grantig sein kann; seine Werke sind echte bayerische Dichtung.“ „Der hintergründige Poet“, hieß es 1985 im „Münchner Stadtanzeiger“, „hat ein geradezu seismographisch feines Gespür für alles Bayerische und speziell Münchnerische. Seine Arbeit seit 1950 als Journalist und `Schwager´ stempelte ihn in der breiten Öffentlichkeit zu `dem´ Schneider, der Alltagsärger und -tratzereien sprachlich gekonnt in das milde Licht echt menschlichen Humors taucht.“ Es verwundert nicht dass Schneiders Münchner und bayerische Feuilletons und Geschichten in regelmäßigen Abständen auch in Buchform erschienen. Im Laufe der Jahre wurden es nahezu ein halbes Hundert Bücher, die von ihm in die Buchhandlungen kamen.

Die erste literarische Auszeichnung, die er für seine Arbeit bekam, war 1962 der vom Stadtrat der Landeshauptstadt München verliehene Preis zur Förderung der Literatur. In der Urkunde hieß es u. a.: „Ein mundartlicher Dichter von selbständigem Rang mit einem Großstadthumor, der zwischen Skepsis, Übermut und Melancholie angesiedelt ist, weit über das behagliche, gefällige Mittelmaß hinaus, das der Dialektdichtung leider nur allzu gern anhaftet. Weil Herbert Schneider als Dichter neue Wege geht und auf ihnen fortzuschreiten verspricht, erhält er als erster einheimischer Münchner den Preis zur Förderung der Literatur.“ Weitere literarische Auszeichnungen folgten, so 1967 die Ludwig-Thoma-Medaille und das Silberne Poetenschiff der Literarischen Gesellschaft „Die Barke“, 1969 der Bayerische Poetentaler der Turmschreiber, 1986 der Ernst-Hoferichter-Preis und 1990 der Sigi-Sommer-Literaturpreis. Herbert Schneider betreute jahrzehntelang in der Nachfolge von Karl Spengler auch die vielgelesene Seite „Bayerische Heimat“ im Münchner Merkur, in der er vielen Nachwuchstalenten Möglichkeiten zur Veröffentlichung gab und sie auf diese Weise nachhaltig förderte.

Nach seinem Abschied in den sogenannten Ruhestand „maßschneiderte und schwagerte“ er zum Vergnügen der Leser in seinen zwei „angestammten“ Zeitungen weiter. Aber nicht nur den Pegasus ritt der fleißige Autor, auch im Sattel seines Rennrades war er von Jugend auf unterwegs. Bereits sechsmal strampelte er auf das 2758 Meter hohe Stilfser Joch, um dort oben Fausto Coppi ins Denkmals-Auge zu blicken. Von den Pässen Südtirols gibt es nur wenige, die von ihm nicht schon „betreten“ wurden. Seine beste Jahresbilanz waren 1989 stolze 9099 Kilometer. Im Winter nahm Herbert Schneider an Dutzenden von Volksläufen teil, allein die 72 Kilometer des Koasalaufs in Tirol bewältigte er fünfmal. Es verwundert nicht, dass er auch der von ihm so benannten „Zipfelmützen-Mafia“ ein eigenes Buch mit dem Titel „Langläufer lachen länger“ widmete.

Nun ist dieser einzigartige bayerische Autor ein Viertel Jahr nach seinem 99. Geburtstag von uns gegangen. Unsere Autorenvereinigung „Turmschreiber“ verliert mit ihm das letzte Gründungsmitglied. Wir werden ihm zusammen mit der gesamten bayerischen Bevölkerung für immer ein ehrendes Andenken bewahren.

Alfons Schweiggert