Der Radrennfahrer – Helmut Eckl zum Tod von Herbert Schneider

Turmschreiber Helmut Eckl und Turmschreiber Herbert Schneider waren „heimliche Rivalen“, wie Helmut Eckl jetzt in einer humorvollen Erinnerung mit dem Titel „Der Radrennfahrer“ verrät:

Ich saß in der Tram auf dem Weg zur Kleinen Komödie am Max II Denkmal und freute mich. Freute mich unbandig! Weniger auf die Weihnachtslesung mit den Münchner Turmschreibern, na ja, das auch, aber noch mehr freute mich darauf, dass ich den Herbert Schneider treffen würde. Der Herbert Schneider war mein Rivale. Natürlich nicht auf der Bühne und auch sonst nicht als Schreiberling. Im Gegenteil: Wir schätzten uns als Mitglieder der schreibenden Zunft sehr und hatten gegenseitig die höchste Achtung vor unseren geistigen Ergüssen. Aber, als Radrennfahrer waren wir Rivalen, erbitterte Rivalen, zwar irgendwie ein bisserl heimlich, aber doch.

Anlässlich der Weihnachtslesung der Turmschreiber fragte ich den Herbert Schneider nämlich jedes Jahr, und das jetzt schon seit vielen Jahren, wie viele Kilometer er denn heuer gefahren wäre und die Antwort machte mich jedes Jahr und das wirklich schon seit vielen Jahren, immer wieder völlig fassungslos. Jedes Jahr hatte der Herbert ein paar tausend Kilometer mehr auf dem Tacho als wie ich und ich nahm mir jedes Jahr vor, das unerbitterlich zu ändern. Und dieses Jahr würde er schauen, der Herbert, da war ich mir sicher.

Der Herbert und ich begrüßten uns wie immer recht herzlich, fragten nach, ob daheim auch alles in Ordnung wäre, nahmen die Reihung der Leser für den Nachmittag gelassen zur Kenntnis und setzten uns dann hinter der Bühne, ganz weit hinter der Bühne, in ein ruhiges Eckerl auf eine Halbe Bier.

Nachdem wir uns dezent zugeprostet hatten, hielt ich es nicht mehr aus. „Herbert“, fragte ich, „wiavui Kilometer bistn heier gradlt?“ „Scho, ganz schee“, antwortete da der Herbert und da wollte ich natürlich die genaue Kilometerzahl wissen, aber wieder meinte der Herbert nur: „Also ehrlich, scho ganz schee.“ Ah, dachte ich mir, der traut sich es jetzt nicht zu sagen, derweil er schon befürchtet, dass ich ihn dieses Jahr überflügelt hab. Und da spielte ich lächelnd meinen Trumpf aus: „Also, ich bin dees Jahr scho knapp über fünftausend Kilometer gradlt.“ Der Herbert nickte anerkennend mit dem Kopf und meinte nur: „Respekt!“ Ja, und ich wurde ganz unruhig und fragte noch amal: „Und Du, sog!“ Der Herbert gab keine Antwort, nahm nur einen Schluck Bier und schaute irgendwie ganz einfach so an mir vorbei. „Also Herbert, jetzt sog scho, mi zreißt ja schier vor lauter Neigier.“ Der Herbert lächelte. „A bisserl mehra!“ Mir fuhr ein Stich ins Herz. „Mehra, wia vui?“ Der Herbert beugte sich verschwörerisch zu mir: „Ungefähr as doppelte und dabei zwoamoi übad Alpn.“ Der Nachmittag in der Kleinen Komödie war versaut.

Der Herbert klopfte mir noch tröstend auf die Schultern und dann gingen wir zusammen auf die Bühne. Großer Beifall! Das Publikum hatte wohl erfahren, dass der Herbert in diesem Jahr schon wieder an mir vorbei geradelt war.

Am 11. Januar 2022 ist der Herbert Schneider, der große bairische Poet und Radrennfahrer verstorben. Mir bleibt wia oiwei nix anders über, wia wieder hinter eahm her zum Fahrn.