Gedankenspiele von Turmschreiber Alfons Schweiggert zum 75. Todestag von Karl Valentin am 9. Februar 2023.
Wissen Sie eigentlich, wem Valentin seinen künstlerischen Nachlass vererben wollte? Der Stadt München? Dem Land Bayern? Oder doch jemandem ganz anderen?
In seinem Brief vom 28.10.1947 an den von ihm geschätzten Volkssänger Kiem Pauli – also ein Viertel Jahr vor seinem Tod – formulierte Valentin sein Vermächtnis unmissverständlich, weil er die völlige Interesselosigkeit seiner bayerischen Landsleute und besonders der Münchner satt hatte.
„Ich habe meine lieben Bayern und speziell meine lieben Münchner
genau kennen gelernt. Alle anderen, mit Ausnahme der Eskimos und Indianer
haben mehr Interesse an mir als meine `Landleute` […].
Dem Menschen kann man´s nicht verübeln,
wenn er von seinen Landsleuten nix mehr wissen will.“
Valentin war stinksauer auf seine Heimatstadt, weil er nach dem Krieg keine Wohnung in München bekam, aus dem Münchner Rundfunk wegen Humorlosigkeit verbannt wurde, keine Möglichkeit erhielt, in der Stadt ein Singspielhalle einzurichten, hier wieder Filme aufzuführen und Bücher zu publizieren. Deprimiert formulierte er sein Testament:
„Meine grossen Kultursammlungen über München,
ich habe die ganze Stadt München
in Original-Fotos von 1850-1900,
will ich lieber Sachsen, Württemberg oder Norddeutschland
testamentarisch zum Geschenk machen,
unter keinen Umständen aber
meinem geliebten Heimatland Bayern,
am allerwenigsten meiner Vaterstadt München.“
Damit brachte Valentin seine ganze Enttäuschung über die von ihm geliebte Vaterstadt München zum Ausdruck, von der er sich schändlich im Stich gelassen fühlte und der er genau genommen seinen gesamten Nachlass verweigern wollte. Sein Testament sollte in Erfüllung gehen, so als habe der Komiker dies noch aus dem Jenseits steuern können.

Obwohl München nach dem Tod Valentins durch dessen Frau noch einmal die Möglichkeit erhielt, seinen Nachlass zu erwerben und damit an ihm doch noch einiges wieder gut zu machen, nutzte die Stadt diese Chance nicht und der Nachlass ging, wenn auch nicht nach „Sachsen, Württemberg oder Norddeutschland“, so doch fort von München und Bayern nach Köln, wo er noch heute liegt.
Seit Valentins Tod, also seit 75 Jahren, hat es die Stadt München, die Valentin mehr als alles liebte, nicht geschafft, ihm jene Ehrungen zukommen zu lassen, die er und seine Partnerin Liesl Karlstadt längst verdient hätten.
Warum wurde eigentlich noch immer kein „Valentin-Karlstadt-Zentrum“ errichtet,in dem das berühmte Komikerpaar von Kunstschaffenden aus aller Welt zum Leben erweckt werden könnte mit tollen Ausstellungen, Film- und Theateraufführungen, Vorträgen, Kabarettveranstaltungen, Lesungen und vielen anderen Aktionen, wofür im engen Turmstüberl des Valentin-Karlstadt-Musäums kein Platz ist? 14 Studenten der Hochschule für angewandte Wissenschaften München – Fakultät für Architektur – entwarfen 2011 wunderbare Pläne für ein solches Zentrum, wofür München aber kein Geld hatte. Während 2012 Charlie Chaplin, obwohl kein Schweizer, für 60 Millionen Schweizer Franken am Genfersee ein stattliches Museum errichtet wurde, hatte München für ein „Valentin-Zentrum“ natürlich kein Geld und grübelte stattdessen über ein „Humormuseums“ nach, in dem vielleicht auch Valentin und die Karlstadt ein Plätzchen finden könnten. Doch weil auch die Sanierung der Alten Viehmarktbank im Münchner Schlachthofviertel der Stadt zu teuer war, sah sich der Humor gezwungen, aus München nach Bernried am Starnberger See auszuwandern, auch wenn nicht sicher ist, ob er dort Platz findet.
Wenn schon kein „Zentrum“, warum gibt es in München dann nicht wenigstens ein eigenes Valentin-Karlstadt-Theater, in dem ganzjährig Sketche, Szenen u. Stücke von Valentin zur Aufführung kommen, besonders auch jene Stücke, die nur in Manuskriptform vorliegen und bislang noch nicht aufgeführt wurden? In einem solchen eigenen Theater sollten Valentin-Stücke mit finanzieller Unterstützung der Stadt München nicht nur von deutschsprachigen Theatern, sondern auch von Gast-Theatern aus europäischen Ländern, aber auch aus Ländern in aller Welt aufgeführt werden, wo Valentin übrigens mehr gespielt wird als in seiner Heimat.
Warum ist in München noch immer keine Schule nach Karl Valentin/ Liesl Karlstadt benannt? Es gibt zahlreiche Bert-Brecht-Gymnasien, Erich-Kästner-Schulen und nach anderen nicht gebürtigen Bayern benannte Schulen. Eine „Karl Valentin/ Liesl Karlstadt-Schule“ gibt es hingegen hier noch immer nicht. Vielleicht wäre es sinnvoll, diesbezüglich einmal bei den Berlinern anzufragen, die Valentin bekanntlich sehr schätzen, wie der Stern beweist, der dort im „Boulevard der Stars“ zu Ehren Valentins platziert wurde.
Und warum hat die Stadt München noch immer keine Büsten von Karl Valentin und Liesl Karlstadt in der Ruhmeshalle an der Theresienwiese in München aufgestellt, wo angeblich dochBüsten aller bedeutenden Persönlichkeiten aus Bayern stehen? Ja, sind denn Valentin und die Karlstadt für die Stadt München bedeutungslos?
Und schließlich, warum nennt sich die Stadt München noch immer nicht „Liesl Karlstadt – Karl Valentin-Stadt“, obwohlValentin nach Oskar Maria Graf doch „der münchnerischste aller Münchner“ ist? Dieser Titel ist jedenfalls zutreffender als „München – Weltstadt mit Herz“, der heute mittlerweile doch recht fragwürdig klingt. Warum folgt München nicht dem Beispiel der Städte Augsburg, Prag, Salzburg und Wien, von denen sich eine jede stolz „Mozartstadt“ nennt?
Vielleicht könnten sich der Münchner Oberbürgermeister und sein Stadtrat 75 Jahre nach Valentins Tod einmal ernsthaft diese Fragen stellen und sie auch ehrlich und zeitnah beantworten.
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