Interview von Dr. Alexandra Hildebrandt mit dem Preisgründer Alfons Schweiggert, Turmschreiber und Vorstand der von ihm begründeten „Valentin-Karlstadt-Gesellschaft n.e.V“
2007 erfand der Münchner Schriftsteller und Valentin-Biograph Alfons Schweiggert anlässlich Valentins 125. Geburtstags den „Großen Valentin-Karlstadt-Preis“, der bisher viermal verliehen wurde und 2022 nun erstmals von der Stadt München vergeben wird.
Herr Schweiggert, Anfang April 2022 wurde der international renommierten Schweizer Clownin, Schauspielerin und Autorin Gardi Hutter der „Große Valentin-Karlstadt-Preis“ zuerkannt. Mit welcher Begründung?
Schweiggert: Ja, Gardi Hutter wurde von unserer Jury als fünfte Preisträgerin des „Großen Valentin-Karlstadt-Preises“ gewählt. Wie Karl Valentin und Liesl Karlstadt ist sie auf Kleinkunst- und Kabarett Bühnen ebenso daheim wie in großen Theatern. Seit vier Jahrzehnten ist sie als Bühnen- und Filmschauspielerin, als Regisseurin und als Autorin eine Multimediakünstlerin ersten Ranges. Ihre Auftritte mit selbst gestalteten Kostümen und Masken sind wie bei Valentin/Karlstadt weit mehr als nur übliches Kabarett. Hanna, die Hauptfigur ihrer Auftritte kämpft wie Don Quijote und Sancho Panza gegen die Tücken und Fallgruben einer absurden Welt. Wie die Karlstadt karikiert Gardi Hutter in ihren Auftritten weibliche Schönheitsideale und übliche Verhaltensnormen. Ihre geniale Tragik-Komik mit der Darstellung kleiner Leute, die in ihrem Bemühen um ein wenig Teilhabe am Glück permanent scheitern, erinnert an wunderbare Szenen und Stücke Karl Valentins und der Karlstadt. Gardi Hutter hat den Preis verdient.

Von wem wurde der „Große Valentin-Karlstadtpreis“ erfunden?
Schweiggert: Von mir und zwar 2007 anlässlich des 125. Geburtstags von Karl Valentin. Da habe ich in Valentins Geburtshaus in der Münchner Au den Preis, zunächst unter dem Namen „Großer Karl Valentin-Preis“ ins Leben gerufen. Mit diesem Preis sollten Persönlichkeiten geehrt werden, die in der Nachfolge Valentins herausragende eigenständige künstlerische Leistungen vorweisen können. Der Preis wird nicht zwingend jedes Jahr vergeben, da ein jährlicher „Verleihungszwang“ mit der Eigenart von Karl Valentin
nicht kompatibel ist.
2019 wurde der „Große Karl Valentin-Preis“ von mir dann der Stadt München anvertraut, die ihn unter dem erweiterten Namen „Großer Valentin-Karlstadt-Preis“ nun als städtischen Preis weiterführt, wobei eine fachkundige Jury, der auch ich angehöre, den oder die jeweiligen Preisträger und den „Rahmen“ der Vergabe, bestimmt. Bis 2017 gab es nur männliche Preisträger. Mit Gardi Hutter ist nun erstmals eine Künstlerin mit dem Preis ausgezeichnet worden. Dies geschah am Sonntag, den 10. Juli 2022, im Rahmen einer Matinée im Münchner Volkstheater. Als ich seinerzeit den Preis erfand, musste ich mir auch überlegen, woraus der Preis denn bestehen soll. Da gab es für mich nur eine Antwort: Der Preis muss aus NICHTS bestehen. Nicht nur der erste Preisträger Gerhard Polt war mir dankbar dafür.
Aber weshalb gerade aus NICHTS?
Schweiggert: Bei einer Auszeichnung im Sinne Valentins war nichts näher liegend als Valentin selbst zu befragen, was ich damals auch getan habe. Zunächst gilt es festzuhalten, dass Valentin während seines ganzen Lebens keinen einzigen Preis erhalten hatte, obwohl Roda Roda forderte: „Gebt Karl Valentin den Nobelpreis der Komik und des Humors!“ Aber Valentin hat ihn nie bekommen, sondern allenfalls Lob, das hat ihm gereicht. Sehen Sie, und das war für mich schon damals gleich der erste Hinweis: Lob reicht.
Den zweiten Hinweis gab folgende überlieferte Anekdote. Einmal war der Regisseur Rolf Raffe, mit dem Valentin Filme drehte, bei dem Komiker zu Besuch. Da fragte ihn Valentin, ob er ihm ein Stamperl Schnaps anbieten dürfe. Raffe war nicht abgeneigt. Daraufhin ging Valentin in die Küche und kam kurz darauf mit zwei gefüllten Gläsern zurück. Das eine Glas reichte er dem Regisseur und prostete ihm zu. Schon beim ersten Nippen bemerkte Rolf Raffe, dass er nur reines Wasser bekommen hatte. Valentin erklärte ihm den Grund: „Sie müssen vielmals entschuldigen, Herr Raffe, in der Flasche war nur mehr ein einziges Stamperl drin, und irgendwas hab ich Ihnen doch anbieten müssen.“ Valentin bot seinem Gast also gleichsam NICHTS an, machte ihn damit aber doch glücklich. Das war für mich der zweite Hinweis: Nicht was man bekommt ist wichtig, sondern, dass man überhaupt etwas bekommt. Außerdem sollten wir, anstatt immer wieder zu klagen, dass wir nicht alles haben, was wir wollen, lieber dafür dankbar sein, dass wir nicht alles bekommen, was wir verdienen.

Demnach hat Valentin also das NICHTS sehr beschäftigt?
Schweiggert: Ja, in einem Brief an den Simplizissimus-Zeichner Eduard Thöny zu dessen 75. Geburtstag schrieb Valentin: „Dass ich Ihnen keine Geschenke zu Ihrem werten Geburtstag schenke, beruht auf Gegenseitigkeit, denn Sie haben meiner damaligen Mutter, als ich geboren wurde auch nicht gratuliert, trotzdem dass wir uns zu jener Zeit persönlich noch nicht gekannt haben.“ Und Valentin endet diesen Brief mit der lapidaren Feststellung; „Anbei: Kein Geschenk.“ Und ich begann zu überlegen, was Valentin mit all dem sagen wollte.
Dann ist der „Große Valentin-Karlstadt-Preis“ also der einzige Preis weltweit, der aus NICHTS besteht?
Schweiggert: Das ist tatsächlich der Fall. Bekanntlich ist bei Preisverleihungen den Preisträgern oft gar nicht der Preis wichtig, sondern nur das, womit er dotiert ist. Ein Preis, der mit 1000 Euro dotiert ist, ist zwar schön, aber schöner ist ein Preis der mit 10.000 oder 20.000 Euro dotiert ist. Das ist dann angeblich ein besonderer Preis. Der Nobelpreis ist deshalb so begehrt, weil er mit rund 900.000 Euro dotiert ist. Aber eigentlich sollte es doch nicht die Dotierung sein, sondern der Preis, der einen glücklich macht. Es geht doch nicht um den Schnaps im Glas, sondern um das Schnapsglas, in dem was drin ist, auch wenn es kein Schnaps ist, was drin ist, also, auch wenn nur NICHTS drin ist. Deshalb habe ich mich bei der Vergabe des „Großen Valentin-Karlstadt Preises“ danach gerichtet. Da er aus absolut NICHTS besteht, belastet er nicht und hat die Leichtigkeit des NICHTS, ist also gleichsam wie ein Messer ohne Klinge, dem der Stil fehlt.
Wie reagieren nun Künstler, die erfahren, dass sie mit NICHTS ausgezeichnet werden?
Schweiggert: Sie sind zunächst überrascht, dann aber damit einverstanden, ja geradezu glücklich, dass dieser Preis nicht, wie dies bei anderen Preisen der Fall ist, eine entsprechende Geldsumme benötigt, um der Auszeichnung Bedeutung zu verleihen. Der Preis hat als solcher unschätzbaren Wert, der mit Geldbeträgen, wie hoch sie auch sein mögen, nicht aufzuwerten ist. Damit soll der nicht nur in Deutschland weit verbreiteten irrigen Ansicht entgegengetreten werden, eine Auszeichnung sei umso wertvoller, je höher die damit verbundene finanzielle Zuwendung ist. Der „Große Valentin-Karlstadt-Preis“ zerstört alle materiellen Erwartungen und somit den Materialismus selbst. Dennoch bekommen die Preisträger mit dem NICHTS auch das bayerische „EPPS“.
Was bekommen Sie … EPPS? Was ist denn das?
Schweiggert: Wer das bayerische Wörtchen „epps“ mit „etwas“ übersetzt, der irrt. Das bayerische „Epps“ ist nämlich weniger als etwas, es bedeutet „so gut wie nichts, aber dann halt doch epps.“ So antworteten beispielsweise bayerische Mütter in der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Kindern, wenn diese fragten: „Du Mama, was bringt uns in diesem Jahr ´s Christkindl?“ – „Ja mei, epps werds euch dann schon bringen.“ Und dann brachte das Christkindl „epps“, z.B. die frisch gewaschene Unterhose des großen Bruders oder ein paar felsenharte Platzal (also Plätzchen). Die Kinder waren mit diesem „epps“, das eigentlich NICHTS war, vollkommen zufrieden. Christian Morgenstern meinte einmal zu Recht: „Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas“ – auf bayerisch: die Suche des NIX nach dem EPPS.
Dieser Suche widmete sich auch Valentin zeit seines Lebens. Menschen, die ihn persönlich auf der Bühne erleben durften, berichteten, dass es die stärksten Augenblicke waren, wenn Valentin auf der Bühne stand und NIX sagte. Doch damit wollte er EPPS sagen, auch wenn nicht alle auf sein Schweigen hörten. Doch so manchem wurde dabei klar, dass, wer nix sagt, nicht nix sagt. Und seien wir doch ehrlich, sagt denn nicht der, der nix sagt, oft mehr, als der, der epps sagt. Wer nämlich epps sagt, sagt oft mehr nix, als der, der nix sagt, obwohl er glaubt, epps zu sagen.
Dann bekommt man also mit dem „Großen Valentin-Karlstadt-Preis“ mit dem NICHTS doch „EPPS“?
Schweiggert: Ja natürlich, nämlich den „Großen Valentin-Karlstadt-Preis“ als solchen. Als Valentin einmal von jemandem mit der Behauptung konfrontiert wurde: „Sie aus Nichts wird nichts!“ entgegnete Valentin. „Aber der liebe Gott hat die Welt doch aus Nichts gemacht. Dann kann man also aus Nichts doch epps machen.“ Natürlich muss man dazu göttlich sein. Wer aber den „Großen Valentin-Karlstadt-Preis“ bekommt, der trägt irgendwie den göttlichen Schöpfungsfunken in sich – als Mensch und als Künstler – und deshalb kann so jemand sicher aus NICHTS auch EPPS machen.
„Nix“ und „epps“, die zwei großen Geschwister, wie sie nur die bayerische Sprache hervorbringen kann und die zwei gigantischen Pole nicht nur bayerischer Existenz. Nichts – in einer Zahl ausgedrückt – kennen wir alle als Null. Aber beruht nicht die Stärke der Millionen auf den Nullen, die uns zeigen, dass nix doch epps ist? Jeder weiß, dass alles, was nur eine Eins ist und mehr sein will, das muss eine Null hinter sich haben. Und gegenwärtig erleben wir wieder einmal eindringlich, dass in der Wirtschaft die Nullen gefährlich sind, die hinten stehen, während es in der Politik die Nullen sind, die vorne stehen. Eine sowohl wirtschaftlich als auch mathematisch und vor allem politisch abgesicherte Tatsache aber ist: Nullen müssen sich immer rechts halten, wenn sie etwas werden wollen. Das ist bayerisches Lebensprinzip, genauer bayerisches Überlebensprinzip. Wer sich daran hält, der erfährt täglich auf wunderbare Weise wie aus nix epps wird. So nannte einmal ein bayerischer Philosoph den bayerischen Landtag ein „Aus-Nix-Epps-Mach-werk“.
Auf welche Weise verläuft denn die Übergabe des NICHTS?
Schweiggert: Die Preisträger waren bisher stets dankbar, dass wir ihnen bei der Preisübergabe nur ganz schlicht die Hände schüttelten. Das ist alles. Ja sie waren geradezu erleichtert, dass sie NICHTS bekommen hatten, denn Sie waren sich bewusst, dass der, der NICHTS bekommt, fein heraus ist. Bekanntlich belastet die Menschen nie das NICHTS. Deshalb wunderte sich Valentin auch, dass ein hohler Zahn wehtun kann. „Der ist doch hohl, da ist doch nix drin. Wie kann des Nix dann wehtun!“, das konnte nicht verstehen, „weil dann müssen doch unsere Politiker alle Kopfweh haben“, wie er schlussfolgerte. – Übrigens wird das NICHTS auch nicht verliehen ….
Ja, was denn dann?
Schweiggert: Das NICHTS wird vergeben. Würden wir es verleihen, besteht die Gefahr, dass wir das NICHTS nach der verabredeten Leihfrist wieder zurückbekommen. Da wir das aber nicht wollten, haben wir den Preis von Anfang an vergeben. Die, die ihn erhalten, können demzufolge damit tun, was sie wollen, ihn also auch wieder vergeben. Mittlerweile werden sie von einer Jury unterstützt, der auch ich als Preisgründer angehöre.
Wenn es aber das NICHTS nicht gibt, wie kann man denn dann das NICHTS überhaupt
vergeben?
Schweiggert: Ja, das stellt tatsächlich ein großes Problem dar und damit wird die Angelegenheit nun richtig philosophisch. Schon immer fragten sich nämlich die Philosophen, ob es das NICHTS überhaupt gibt. Genau gesagt fragen sie sich das natürlich nicht, da das NICHTS ja nicht ist. Sobald man nämlich die Frage stellt: Was ist das NICHTS, ist das NICHTS ja etwas. Deshalb stellten die Philosophen lieber die Frage: Warum ist nicht NICHTS? Aber auch diese Frage kann nur gestellt werden, wenn schon etwas ist, weshalb es also eigentlich idiotisch ist, dass etwas Seiendes danach fragt, warum es etwas nicht Seiendes nicht gibt. Nicht Seiendes kann ja nicht sein, denn in dem Augenblick, wonach danach gefragt wird, ist es gewissermaßen schon da. Das Sein braucht also etwas, aus dem es entsprungen ist. Die Frage „Warum ist nicht NICHTS?“, diese abgründigste aller metaphysischen Fragen kann nur von einem denkenden Wesen gestellt werden, dessen Gehirn sich nach dem Quantenfluktuations-Hokuspokus aus dem Chemiebaukasten des Sternenstaubs zusammengesetzt hat, dass es also ohne ein Seins-bedingtes Denken gar keine Idee von NICHTS geben kann.
Das wird ja nun immer komplizierter …
Schweiggert: Das muss es auch! Die Naturgesetze im Universum sind nämlich unbedingte Voraussetzung dafür, dass ein Lebewesen überhaupt die Frage stellen kann: Warum ist nicht NICHTS?“, obwohl die Frage zugleich auch absurd ist. Schon der Vorsokratiker Parmenides erkannte das. Er meinte, es sei unmöglich, über das Nichtseiende zu sprechen, da im selben Moment, wenn man von diesem etwas aussagt, dessen Sein wieder vorausgesetzt wird. Weil Denken mit Sein jedoch äquivalent sei, könne man über das NICHTS demnach nicht einmal nachdenken. Doch mit dieser Schlussfolgerung irrte Parmenides, denn von nun an ging das Nachdenken und die Diskussion über das NICHTS erst so richtig los und beschäftigte nicht nur das NICHTS-Denken von Parmenides, sondern auch von Leibniz, Kant und Vincent van Gogh bis hin zu den Koryphäen der Quantenmechanik und der Kosmologie und auch das Denken der Komikertruppe Monty Python. Sie haben die `NICHTSbewusste´ Lösung aller Fragen gefunden, die da lautet: „Du kommst aus dem Nichts. Du gehst ins Nichts. Was hast Du zu verlieren? Nichts!“ Und das wussten eben auch Karl Valentin und seine Partnerin Liesl Karlstadt.
Informationen zu Alfons Schweiggert
Alfons Schweiggert auf der Seite der Turmschreiber
www.alfons-schweiggert.de
www.literaturportal-bayern.de/autorenlexikon-Schweiggert
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfons_Schweiggert
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.