Zur Erinnerung an Fedl Fesl

Der Liedermacher, Wortakrobat, Mundartkünstler und großartige Musikkabarettist Fredl Fesl ist 2017 durch die Münchner Turmschreiber mit dem Bayerischen Poetentaler ausgezeichnet worden. 2010 erhielt er den „Großen Karl Valentin-Preis“ und Preisgründer und Turmschreiber Alfons Schweiggert hielt die Laudatio. Anlässlich des Todes von Fredl Fesl, der die Münchner Turmschreiber tief betroffen macht, veröffentlichen wir hier die Rede zur Verleihung des „Großen Karl Valentin-Preises“:

Herzlich willkommen zur heutigen Vergabe des Großen Karl Valentin Preises 2010 im Münchner Volkstheater. Besonders herzlich begrüße ich Fredl Fesl, seine Frau, seine Angehörigen und seinen Manager, aber ebenso die zahlreichen Ehrengäste aus Kunst, Kultur und Wissenschaft.

Zeichnung von Turmschreiber Franz Eder, signiert von Fredl Fesl

Sie erinnern sich, vor zwei Jahren, am 19. Februar 2007, wurde anlässlich des 125. Geburtstags von Karl Valentin hier im Volkstheater erstmals der Große Karl Valentin-Preis vergeben, den ich mit Zustimmung der Nachkommen Valentins kreiert habe. Mit diesem Preis sollten Persönlichkeiten geehrt werden, die in der Nachfolge Valentins herausragende eigenständige künstlerische Leistungen vorweisen können. Ich wurde seinerzeit beauftragt, mir zu überlegen, woraus der Preis denn bestehen soll. Weil es ein Preis sein sollte, der im Sinne Valentins ist, war nichts näher liegend als Valentin selbst zu befragen, was ich damals auch getan habe.

Zunächst einmal habe ich festgestellt, dass Valentin während seines ganzen Lebens keinen einzigen Preis erhalten hatte, obwohl Roda Roda forderte: „Gebt Karl Valentin den Nobelpreis der Komik und des Humors!“ Aber Valentin hat ihn nie bekommen, sondern allenfalls Lob, das hat ihm gereicht. Sehen Sie, und das war für mich schon damals gleich der erste Hinweis: Lob reicht.

Den zweiten Hinweis gab folgende überlieferte Anekdote. Einmal war der Regisseur Rolf Raffe, mit dem Valentin Filme drehte, bei dem Komiker zu Besuch. Da fragte ihn Valentin, ob er ihm ein Stamperl Schnaps anbieten dürfe. Raffe war nicht abgeneigt. Daraufhin ging Valentin in die Küche und kam kurz darauf mit zwei gefüllten Gläsern zurück. Das eine Glas reichte er dem Regisseur und prostete ihm zu. Schon beim ersten Nippen bemerkte Rolf Raffe, dass er nur reines Wasser bekommen hatte. Valentin erklärte ihm den Grund: „Sie müssen vielmals entschuldigen, Herr Raffe, in der Flasche war nur mehr ein einziges Stamperl drin, und irgend etwas hab ich Ihnen doch anbieten müssen.“ Valentin bot seinem Gast also gleichsam Nichts an, machte ihn damit aber doch glücklich. Das war für mich der zweite Hinweis: Nicht was man bekommt ist wichtig, sondern, dass man überhaupt etwas bekommt.

Den dritten Hinweis entnahm ich einem Brief Valentins an den Schauspieler und Konrad Dreher vom 29. Oktober 1939, in dem Valentin schrieb, dass er sich „sekundenlang“ sein Gehirn zermartert habe, was er dem Jubilar kaufen könne. Der Verzweiflung nahe stürmt er von einem Geschäft ins andere, will Schokolade, Kaffee, Orangen, Kekse kaufen und das 1939 – der Krieg hatte begonnen – und vieles war nur noch über Bezugsscheine erhältlich. Verständlich, dass Valentin in jedem Laden die gleiche Antwort erhielt: „Das gibt es leider nicht mehr, mein Herr.“ „Wutentbrannt, mit leeren Händen“, so Valentin, „stürzte ich mich in den letzten Laden hinein. Der Verkäufer fragte: `Was wünschen Sie, mein Herr?´ – Ich schrie: `Nichts!!- Denn sie haben ja doch nichts!´ – Darauf der Verkäufer: `Doch! Nichts können Sie bekommen; das ist das einzige, was wir noch haben.´ Der Verkäufer nahm eine leere Schachtel, verschnürte sie wie üblich – ich bezahlte nur die Verpackung, denn für das `Nichts´ darf er ja nichts verlangen und das ist heute mein Geschenk an Konrad Dreher, zu seinem 80. Geburtstag.“

Überhaupt ging Valentin mit Geschenken sehr behutsam um. So schrieb er dem berühmten Simplizissimus-Zeichner Eduard Thöny zu dessen 75. Geburtstag: „Dass ich Ihnen keine Geschenke zu Ihrem werten Geburtstag schenke, beruht auf Gegenseitigkeit, denn Sie haben meiner damaligen Mutter, als ich geboren wurde auch nicht gratuliert, trotzdem dass wir uns zu jener Zeit persönlich noch nicht gekannt haben.“ Und Valentin endet diesen Brief mit der lapidaren Feststellung; „Anbei: Kein Geschenk. Wollte Ihnen trotzdem einen kleinen Blumengruss senden, zu einer Mark – war nicht möglich, da Blumenladen wegen Einberufung geschlossen wurde.“ So endet Valentins Brief und ich begann zu überlegen, was mir Valentin mit all dem sagen wollte.

Sie alle wissen es, bei Preisverleihungen ist den Preisträgern oft gar nicht der Preis wichtig, sondern nur das, womit er dotiert ist. Ein Preis, der mit 1000 Euro dotiert ist, ist zwar schön, aber schöner ist ein Preis der mit 10 000 oder 20 000 Euro dotiert ist. Das ist dann angeblich ein besonderer Preis. Der Nobelpreis ist deshalb so begehrt, weil er mit rund 970 000 Euro dotiert ist. Wäre er nur mit 200 Euro dotiert, würde ihn kaum einer haben wollen. Aber eigentlich sollte es doch nicht die Dotierung sein, sondern der Preis, der einen glücklich macht. Es geht doch nicht um den Schnaps im Glas, sondern um das Schnapsglas, in dem was drin ist, auch wenn es kein Schnaps ist, was drin ist, also, auch wenn nur Nichts drin ist. Und es geht um die Verpackung, auch wenn sie nichts enthält. Deshalb haben wir uns 2007 bei der Vergabe des Großen Valentin-Preises danach gerichtet.

Der Große Karl-Valentin-Preis benötigt also nicht, wie dies bei anderen Preisen der Fall ist, eine entsprechende Geldsumme, um der Auszeichnung Bedeutung zu verleihen. Der Große Karl-Valentin-Preis hat als solcher einen unschätzbaren Wert, der mit Geldbeträgen, wie hoch sie auch sein mögen, nicht aufzuwerten ist. Damit soll der nicht nur in Deutschland weit verbreiteten irrigen Ansicht entgegengetreten werden, eine Auszeichnung sei umso wertvoller, je höher die damit verbundene finanzielle Zuwendung ist. Der Karl Valentin Preis zerstört also alle materiellen Erwartungen und damit den Materialismus selbst. Und außerdem war es der erste Preis der Welt, der mit Nichts dotiert war.

Alfred Nobel hinterließ rund 32 Millionen schwedische Kronen. Nach seiner testamentarischen Verfügung sollten die jährlich anfallenden Zinsen  in fünf gleiche Beträge aufgeteilt und an Forscher, Dichter usw. ausgeschüttet werden. Valentin hinterließ nach seinem Tode Nichts. Der Krieg hatte ihm alles genommen und die Zinsen von Nichts, die haben wir 2007 dann auch großzügig an Gerhard Polt und die Biermösl Blosn weiter gegeben, die sich darüber narrisch gefreut haben, weil Ihnen auch gar nichts anderes übrig geblieben ist und weil sie verstanden haben, dass der Große Karl Valentin-Preis als Preis sich selbst genügt. Er ist so angesehen, dass er auf jede Dotierung verzichten kann, weil er groß ist und für sich unschätzbaren Wert besitzt.

Gerhard Polt und die Biermösl Blosn waren dankbar, als wir Ihnen die Hände schüttelten. Ja sie waren geradezu erleichtert, dass sie Nichts bekommen haben, denn Sie waren sich bewusst, dass der, der Nichts bekommt, fein heraus ist. Er braucht den Preis nicht zu tragen, ist also kein Preisträger, sondern nur ein Preishaber. Man kann einen solchen Preis auch nicht vergeuden, wie das immer wieder mit Geldpreisen geschieht. Man kann einen solchen Preis auch nicht verlieren, obwohl man den Preis immer bei sich hat. Dieser Preis kann einem auch nie gestohlen werden, wie dies zum Beispiel der Fall ist, wenn amerikanische Schauspieler den Oskar erhalten.

Dieser Preis ist schon manchem gestohlen worden. Bekanntlich belastet nur das Etwas die Menschen immer wieder, aber nie das Nichts. Deshalb wunderte sich Valentin auch, dass ein hohler Zahn wehtun kann. „Der ist doch hohl, da is doch nix drin und wia des Nix weh doa ko“, das konnte er einfach nicht verstehn, „weil dann müssen doch unsere Stadträte alle Kopfweh haben“, wie er schlussfolgerte. Der Große Karl Valentinpreis war also Nichts, er belastete nicht und hatte die Leichtigkeit des Nichts, war also gleichsam wie ein Messer ohne Klinge, dem der Stil fehlt.

Damals haben wir aus gutem Grund den Großen Karl Valentin Preis auch nicht verliehen, denn dann hätten wir ihn nach der verabredeten Leihfrist wieder zurückbekommen, außerdem wollten  Polt und die Biermösl Blosn ihn auch nicht nur leihen, sie wollten ihn haben. Deshalb haben wir den Großen Valentin-Preis damals vergeben. Aus diesem Grund war er weg, so dass wir keinen Karl Valentin-Preis mehr vergeben konnten. Aber die, die ihn damals erhalten haben, die können ihn heute wieder vergeben, weil sie ihn seit 2007 ja haben. Damals verglich ich den Großen Karl Valentin Preis mit dem berühmten Iffland-Ring, der ja, wie Sie wissen, an den bedeutendsten deutschsprachigen Schauspieler vergeben wird und zwar vom jeweiligen Träger, der verpflichtet ist, ihn dann an den nach seiner Ansicht bedeutendsten Schauspieler weiterzugeben. Einer von ihnen war seinerzeit Karl Kraus, der erst auf seinem Sterbebett bereit war, den Ring weiterzugeben. Er flüsterte damals mit letzter Kraft: „Mein Rat ist …“ Weiter kam er nicht mehr und damals, so das Gerücht, erhielt den Ring dann der österreichische Schauspieler Josef Meinrat.

Nachdem nun Gerhard Polt und der Biermösl Blosn zwei Jahre Zeit hatten die damalige Preisehrung seelisch zu verarbeiten, haben sie sich nun entschieden, an wen sie den Großen Karl Valentin Preis weitergeben wollen und sie haben einen Künstler gefunden, der diesen Preis auf jeden Fall verdient: Fredl Fesl. Er steht für eine echte bayerische Volkskultur, zu der nichts Volkstümelndes gehört, sondern leise Töne und die Liebe zum höheren Blödsinn. Mit seinen unverwechselbaren Liedern wie dem schrägen „Königsjodler“ oder dem „Anlass-Jodler“, dem Taxi- oder dem Freibier-Lied, vorgetragen mit leiser Verschmitztheit, sanftem Humor und seinenn köstlichen komischen Gstanzl-Wortspielen bringt er Wirtshausbühnen genauso zum Jubeln wie vollbesetzte Stadthallen.

Es würde nun aber Karl Valentins Wesen nicht entsprechen, wenn heute wiederum nur „Nichts“ als Preis vergeben würde. Als ich Michael Well fragte, woraus der Große Karl Valentin Preis denn diesmal bestehen würde, ob wiederum aus Nichts, da meinte er. „Wiss man no ned, da müass ma uns no epps eifoin lassn.“

Ich weiß nicht, ob sie alle das bayerische Wörtchen „epps“ in die so genannte hochdeutsche Sprache übersetzen können. Vielleicht meinen Sie, „Epps“ bedeutet so viel wie „Etwas“. Michael Well meinte aber nicht: „Da müssen wir uns noch etwas einfallen lassen.“ Das bayerische Wörtchen „epps“ ist nämlich weniger als etwas, es bedeutet also eher soviel wie „so gut wie nichts, aber dann halt doch epps.“ So antworteten beispielsweise bayerische Mütter in der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Kindern, wenn diese fragten: „Du Mama, was  bringtn uns dees Jahr ´s Christkindl?“ – „Ja mei, epps werds eich nach scho bringa.“ Und dann brachte das Christkindl „epps“, z.B. die frisch gewaschene Unterhose des großen Bruders oder ein paar felsenharte Platzal (also Plätzchen). Die Kinder waren mit diesem „epps“ zufrieden. Christian Morgenstern meinte einmal zu Recht: „Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas“ – auf bayerisch: die Suche des nix nach dem epps.

Dieser Suche widmete sich auch Valentin zeit seines Lebens. Menschen, die ihn persönlich auf der Bühne erleben durften, berichteten, dass es die stärksten Augenblicke waren, wenn Valentin auf der Bühne stand und nix sagte. Doch damit wollte er epps sagen, auch wenn nicht alle auf sein Schweigen hörten. Doch so manchem wurde dabei klar, dass, wer nix sagt, nicht nix sagt. Und seien wir doch ehrlich, sagt denn nicht der, der nix sagt, oft mehr, als der, der epps sagt. Wer nämlich epps sagt, sagt oft mehr nix, als der der nix sagt und damit epps sagt. 

Wer den Großen Valentin Preis bekommt, bekommt also auch dann, wenn er Nix bekäme, doch „epps“, was sonst niemand bekommt, nämlich den Großen Valentin Preis als solchen. Aber auch wenn er epps bekommt, ist es nicht viel mehr als nix. Dass das geht, auch das wusste schon Valentin. Als ihn Liesl Karlstadt mit einer Brille antraf, die keine Gläser hatte und ihn fragte: „Ja, sag amal, dei Brille hat ja überhaupts koane Glasl“, meinte Valentin „Immer noch besser wie gar nix.“ Und als er im Dritten Reich gefragt wurde, was er zur neuen Regierung sage, meinte er: „ I sag nix – so epps werd ma doch noch sagn derfa.“ Und einmal wurde er von jemandem mit der Behauptung konfrontiert: „Sie aus Nichts wird nichts!“ Da meinte Valentin. „Aber der liebe Gott hat die Welt aus Nichts gemacht. Dann kann man also aus Nichts doch epps machen.“ Natürlich muss man dazu göttlich sein. Wer aber den Großen Valentin-Preis bekommt, der trägt irgendwie den göttlichen Schöpfungs-funken in sich – als Mensch und als Künstler – und deshalb kann so jemand sicher aus Nichts auch epps machen.

„Nix“ und „epps“, die zwei großen Geschwister, wie sie nur die bayerische Sprache hervorbringen kann – die beiden gigantischen Pole nicht nur bayerischer Existenz.

Nichts – in einer Zahl ausgedrückt – kennen wir alle als Null. Aber beruht nicht die Stärke der Millionen auf den Nullen, die uns zeigen, dass nix doch epps ist? Jeder weiß, dass alles, was nur eine Eins ist und mehr sein will, das muss eine Null hinter sich haben. Und gegenwärtig erleben wir wieder einmal eindringlich, dass in der Wirtschaft die Nullen gefährlich sind, die hinten stehen, während es in der Politik die Nullen sind, die vorne stehen. Eine sowohl wirtschaftlich als auch mathematisch und vor allem politisch abgesicherte Tatsache aber ist: Nullen müssen sich immer rechts halten, wenn sie etwas werden wollen. Das ist bayerisches Lebensprinzip, genauer bayerisches Überlebensprinzip. Wer sich daran hält, der erfährt täglich auf wunderbare Weise wie aus nix epps wird. So nannte einmal ein bayerischer Philosoph den bayerischen Landtag ein „Aus-Nix-Epps-Mach-werk“.

Ich bin jedenfalls gespannt, woran Michael Well und Gerhard Polt dachten, als sie auf meine Frage, woraus der Große Karl Valentin Preis denn diesmal bestehe, lapidar meinten: „Da müass ma uns no epps eifoin lassn.“

Was Gerhard Polt 2010 dem erstaunten Fredl Fesl mit dem NICHTS dann überreichte, das war „irgend ein Trumm“. Es war ein undefinierbares rostiges Eisenteil. Auch wenn es eigentlich „Nix“ war, war des „Nix“ doch ein Trumm, das „Eps“ war, denn Fredl Fesl sollte nicht mit leeren Händen nach Hause gehen. Er brachte dann auch nur wenig über die Lippen, doch das genügte: `Des gfreit mi scho ganz sakrisch und narrisch!´, sagte er – und erntete stehende Ovationen.

Nun ist  Fredl Fesl am 25. Juni 2024 gestorben, doch von ihm bleibt weitaus mehr als nur Epps erhalten. Er ist zwar nicht mehr hier, aber doch noch da, nämlich für immer in unseren Köpfen, und da sehen und hören wir dich, lieber Fredl, auch künftig weiterhin, deine Stimme, deine Lieder und deine wunderbaren Blödeleien. (as)